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Ist italienisches Recht auf den Erbfall anzuwenden, gelten andere Haftungsvorschriften und Beschränkungsmöglichkeiten für den Erben als im deutschen Recht. Insbesondere kann sich der Erbe bei Überschuldung des Nachlasses nicht auf die §§ 1975 bis 1989 BGB, also Nachlassverwaltung, die Dreimonatseinrede des § 2014 BGB, die Aufgebotseinrede des § 2015 BGB sowie Dürftigkeits- und Überschuldungseinrede nach den §§ 1990 bis 1992 BGB berufen. Dies zeigt der folgende Fall aus der Praxis:

Vater Rossi, der nach vielen Jahren in Deutschland wieder nach Italien zurückgekehrt ist, verstirbt dort nach einiger Zeit. Die Ehefrau (Anna) und Kinder (Paolo und Giovanna) sind in Deutschland verblieben. Paolo hat hier eine Ausbildung abgeschlossen, geheiratet und Vermögen aufgebaut, Mutter Anna und Schwester Giovanna sind Hausfrauen. Bei der Beerdigung in Italien erklärt Paolo – und auf Anraten von Verwandten und Bekannten – voreilig die Annahme der Erbschaft bei der Gemeindeverwaltung in Italien. Giovanna ist sich über die Tragweite der Erklärung nicht im Klaren, übernimmt aber später trotzdem einige Nachlassgegenstände. Mutter Anna überlässt ohnehin alles den Kindern. Die Nachlassenschaft ist - abzüglich der Beerdigungskosten – nicht besonders werthaltig.

Jahre später, Paolo und Giovanna haben den Vorgang bereits vergessen, besucht ein Gerichtsvollzieher den Paolo und seine Ehefrau zu Hause und präsentiert ihnen einen Zahlungsbefehl eines italienischen Gerichts in Höhe von 185.000,00 €. Dieser beruht auf einem Darlehn einer italienischen Bank an den verstorbenen Vater Rossi von 150.000,00 €. Das Darlehn ist etwa zwanzig Jahre alt. Hinzu kommen Zinsen und Anwaltsgebühren. Etwas später erhalten die beiden noch ein Schreiben der italienischen Finanzverwaltung. Herr Rossi hatte es über Jahre versäumt, die Einkommenssteuer in Italien zu zahlen. Das Finanzamt hatte den Bescheid an die letzte Adresse des Rossi zugesandt. Mittlerweile sind Kosten von weiteren 15.000,00 € aufgelaufen.

  1. Feststellung

Nach deutschem und italienischem Recht übernimmt der Erbe als sog. Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers neben dem Vermögen auch dessen Schulden und muss für diese sowohl mit dem Nachlass als auch mit seinem Eigenvermögen einstehen.

  1. Feststellung

Nach dem deutschen Recht ist – neben den oben genannten Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten - sogar die Anfechtung der Erbschaftannahme wegen Irrtums über den Nachlassumfang auch nach Jahren möglich. Das italienische Erbrecht kennt dagegen keine Anfechtungsmöglichkeit wegen Irrtums über den Nachlassumfang, Art. 483 Abs.1 c.c. Die Erben können also ihre Erbschaftsannahme später nicht rückgängig machen. Ausnahmsweise besteht eine Anfechtungsmöglichkeit im italienischen Erbrecht nur dann, wenn die Erben mit Gewalt oder Arglist zur Erbschaftsannahme gezwungen wurden, Art. 482 c.c. Dies war hier nicht der Fall.

  1. Feststellung:  

Ob italienisches oder deutsches Erbrecht Anwendung findet, ist zu ermitteln. In unserem Fall ist italienisches Erbrecht berufen, weil der Verstorbene italienischer Staatsangehöriger war bzw. sein letzter Wohnsitz in Italien lag und keine andere testamentarische Verfügung vorliegt.

  1. Feststellung:

Die Forderung der Bank ist auf die Erben übergegangen. Möglicherweise könnten sie sich, da das Darlehn zwanzig Jahre alt ist, auf Verjährung berufen. Diese richtet sich nach italienischem Recht, weil dem Darlehen ein „italienischer“ Vertrag zugrunde lag. Nach dem italienischen Recht kommt es für bei der Verjährung auf die Fälligkeit der Leistung an. Rückzahlungsansprüche von Darlehen werden dann fällig, wenn die Zahlung der Rate eine bestimmte Frist vorsieht oder das Darlehn gekündigt wird. Die Regelverjährung in Italien beträgt 10 Jahre, unter Umständen 5 Jahre. Allerdings kann die Verjährung mit einfachem Mahnschreiben der Bank an den Schuldner unterbrochen werden heißt, die Verjährung läuft von Neuen. In unserem Fall, hat die Bank das Mahnschreiben an die ihr bekannte Adresse zustellen lassen, weil ihr die Adresse der Erben unbekannt war und sich kein Zustellungsbevollmächtigter für sie bestellt hat.

  1. Feststellung

Ist die Zustellung des Mahnschreibens nachgewiesen, ist die Verjährung unterbrochen, die Forderung kann also praktisch noch viele Jahre nach dem Erbfall gegen die Erben eingefordert werden. Die Bank hat dann einen Zahlungsbefehl in Italien beantragt, den die Erben „nicht zur Kenntnis genommen“ haben. Die Forderung ist, wie man sagt, tituliert und rechtskräftig, weil wichtige Rechtsmittelfristen nicht beachtet wurden. Die Schuld ist in Deutschland auch vollstreckbar.

  1. Feststellung

Ob die Erben als Gesamtschuldner oder quotenmäßig in Höhe ihres Erbteils für die Schulden haften, ist Fallfrage. Grundsätzlich ist eine quotenmäßige Haftung vorgesehen, Artt. 752, 754 c.c. Dies kann sich ändern, wenn es sich um ein mit Hypotheken abgesichertes Darlehen handelt (wie hier) und/oder ein Steuerbescheid gegen nur einen Erben ergeht (streitig). Im ungünstigsten Fall haftet Paolo für den Gesamtbetrag, weil Giovanna selbst über kein Vermögen verfügt, um ihren Anteil zu begleichen.

  1. Feststellung

Die Ehefrau von Paolo sträubt sich und wendet ein, dass sie für Schulden ihres Ehegatten aus Erbschaft nicht zahlen muss. Das stimmt auch. Dem Grunde nach zumindest. Denn wenn Paolo in Deutschland verheiratet ist spricht vieles dafür, dass er im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebt. Die Zugewinngemeinschaft sieht per se eine Gütertrennung zwischen den Vermögensmassen beider Eheleute vor. Für sämtliche während der Ehe begründeten Verbindlichkeiten und Schulden haftet nur der Ehepartner, der die Verbindlichkeiten eingegangen ist.

Für geerbte Schulden muss demnach bei der Zugewinngemeinschaft nur derjenige Ehepartner aufkommen, der die Erbschaft angetreten hat. Wurde aber beispielsweise das Familienheim von Paolo erworben und von ihm finanziert, handelt es sich um sein Vermögen! Ebenso misslich ist die Zukunft und Altersabsicherung der Ehefrau. Da sie als Ehefrau des Paolo Erbin ist, erbt sie diese Schulden als sog. „Erbes Erbin“.

Fazit und Empfehlung:

Derartige Fälle sind in unserer zwanzigjährigen Berufspraxis, in verschiedenen Konstellationen, vorgekommen.

Nach italienischem Recht hat der Erbe zum einen die Möglichkeit, die Erbschaft vorbehaltlos anzunehmen, was die Verschmelzung des ererbten mit dem eigenen Vermögen herbeiführt und eine Haftung für die Erblasserschulden und Vermächtnisse mit dem gesamten Vermögen in voller Höhe nach sich zieht. Er kann die Annahme der Erbschaft aber auch mit dem Vorbehalt der Inventarerrichtung erklären. Der wesentliche Unterschied zur vorbehaltlosen Annahme besteht hierbei in der Haftung. Nimmt er die Ebschaft - wie hier - uneingeschränkt an oder geriert er sich als Erbe, haftet er für die geerbten Schulden unbeschränkt! 

Wichtig ist, dass Informationen frühzeitig beigezogen werden und abgewogen wird, ob eine sog. Annahme unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung Sinn macht. Denn die Kosten für das Verfahren sind in der Regel recht hoch. Ist die Erbschaft einmal uneingeschränkt angenommen, gibt es kein zurück. Es sollte auch Jahre später eine Kontrollmöglichkeit bestehen, etwa durch einen sachkundigen Vertreter oder Rechtsanwalt, damit wichtige Fristen nicht versäumt werden. Je nach Familienkonstellation kommt es gelegentlich vor, dass diese formellen Defizite, etwa kein Zustellungsadressat vor Ort, ausgenutzt wird, um „familiäre Altrechnungen“ zu begleichen. Dies ist mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden, denn Austragungsort dieser Streitigkeiten ist regelmäßig der letzte Wohnsitz des Verstorbenen in Italien, Art. 22 Abs.2 c.p.c.

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Rechtsanwalt Gian Luca Pagliaro ist seit 1995 als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt italienisches und deutsches Erbrecht tätig.

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